Title: Intentionale Toleranz? Ein kritischer Kommentar zur Bedeutung frühneuzeitlicher Religionsfrieden in Europa
URL: https://frictions.europeamerica.de/research-note-maehner-ein-kritischer-kommentar-zur-bedeutung-fruhneuzeitlicher-religionsfrieden-in-europa/
doi number: 10.15457/frictions/0033
Author: Miriam Mähner

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Miriam Mähner: Intentionale Toleranz? Ein kritischer Kommentar zur Bedeutung frühneuzeitlicher Religionsfrieden in Europa. In: Frictions (20.10.2024), doi: 10.15457/frictions/0033

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Intentionale Toleranz? Ein kritischer Kommentar zur Bedeutung frühneuzeitlicher Religionsfrieden in Europa

Miriam Mähner

Universität Regensburg


Miriam Mähner explores the complex role of religious peace treaties in the 16th and 17th centuries. Drawing on her prize-winning master’s thesis, she examines whether these Early Modern historical agreements can truly be considered milestones of tolerance or whether they were political compromises that concealed deeper societal tensions. Mähner analyses four key religious peace treaties in Europe, highlighting that they often focused less on religious freedom and more on preserving existing power structures.

Miriam Mähner won one of the joint second prizes in the 2023 edition of the ScienceCampus and DIMAS area studies prize.

This essay is in German


Miriam Mähner erforscht die komplexe Rolle von Religionsfriedensverträgen im 16. und 17. Auf der Grundlage ihrer preisgekrönten Masterarbeit fragt sie danach, ob diese historischen Abkommen wirklich als Meilensteine der Toleranz gelten können oder ob es sich um politische Kompromisse handelte, die tiefere gesellschaftliche Spannungen verbargen. Mähner analysiert vier wichtige Religionsfriedensverträge in Europa und zeigt auf, dass es dabei oft weniger um Religionsfreiheit als vielmehr um den Erhalt bestehender Machtstrukturen ging.

Miriam Mähner hat einen der gleichtwertigen zweiten Preise im WissenschaftsCampus- und DIMAS-Forschungspreises für das Jahr 2023 gewonnen.

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Diese vier  [Religionsfrieden …] wurden etabliert, um auf politischen Weg (man entschied sich explizit dafür, nicht nach einer theologischen Einigung der Streitfragen zwischen den Konfessionen zu suchen […]), Frieden, Ruhe und Sicherheit beziehungsweise Ordnung in den jeweiligen Herrschaftsbereichen zu wahren.

Die Reformation erschütterte die Grundfeste der frühneuzeitlichen Lebenswelt – Dinge, die zuvor als selbstverständlich erachtet wurden, waren plötzlich in Frage zu stellen, allgemeine Gewissheiten galten nicht mehr. Religion war im 16. Jahrhundert essenzieller Bestandteil aller Lebensbereiche, dementsprechend verständlich ist es, dass die Spaltung der Kirche auch eine tiefe Spaltung der Gesellschaft nach sich zog. In den Jahren nach dem Thesenanschlag Martin Luthers 1517 kam es europaweit auf theologischer Ebene zu mehreren (fruchtlosen) Versuchen der Wiedervereinigung, einer Reformierung der katholischen Kirche und zugleich zur allgemeinen Verdammung aller protestantischer Glaubensrichtungen von katholischer Seite. Im politischen Rahmen entstanden sowohl Versuche, eine Einigung zu erzielen als auch militärische Aufstände und teils langjährige, grausame Religionskriege zwischen Anhänger*innen beider Konfessionen.

In einigen der frühneuzeitlichen Herrschaftsgebieten führten diese Erfahrungen schließlich zur Etablierung von Verträgen, die ein friedliches Zusammenleben innerhalb der Bevölkerung langfristig ermöglichen sollten. Diese sogenannten Religionsfrieden bilden ein wichtiges Element der Reformationsgeschichtsschreibung, nicht zuletzt da sie auf der Grundlage entworfen wurden, die Spaltung der Kirche (zumindest vorerst) zu akzeptieren und somit die reine Existenz des Protestantismus offiziell anerkennen. Wie wir heute wissen, sollte sich daran auch nichts mehr ändern.

Vier bedeutende Religionsfrieden in Europa: Ein politischer Kompromiss?

Vier wichtige Vertreter der Gattung Religionsfrieden waren die Religionsedikte aus Siebenbürgen (im heutigen Rumänien), die Warschauer Konföderation aus Polen-Litauen, das Edikt von Nantes aus Frankreich und der Augsburger Religionsfrieden aus dem Heiligen Römischen Reich (dem Vorgänger des heutigen Deutschlands). Diese vier Quellen unterscheiden sich zwar sowohl in ihrem Entstehungsprozess als auch in Umfang und Ausführlichkeit stark – das Edikt von Nantes etwa bestand aus mehr als 90 Artikeln, während die Warschauer Konföderation auf zwei Seiten passt – sind sich jedoch in ihrer grundlegenden Intention erstaunlich einig: sie wurden etabliert, um auf politischen Weg (man entschied sich explizit dafür, nicht nach einer theologischen Einigung der Streitfragen zwischen den Konfessionen zu suchen, da dieser Weg aussichtslos erschien, erkannte dadurch aber eben indirekt die Spaltung der Kirche an) Frieden, Ruhe und Sicherheit beziehungsweise Ordnung in den jeweiligen Herrschaftsbereichen zu wahren.

Das kann mit dem Ziel, konfessionell bedingte Gewaltausbrüche zu verhindern, gleichgesetzt werden. Dies war nicht die einzige Intention, die mit der Inkraftsetzung der Religionsfrieden verfolgt, jedoch die Einzige, die innerhalb der Quellen offen so formuliert wurde. Andere Ziele treten erst durch eine genauere Beschäftigung mit den Texten und ihrem historischen Kontext zutage. So kann etwa durchgehend beobachtet werden, dass es einen starken Willen gab, das in den jeweiligen Herrschaftsbereichen bestehende politische System zu erhalten. Beschlüsse, die den herrschenden Machtstrukturen widersprechen, lassen sich nirgends finden. Vielmehr wird im Zweifel immer der Erhalt des Systems religiösen Freiheiten vorgezogen. Das kann daran liegen, dass unter zeitgenössischen Machthabern die Furcht vorherrschte, dass sich durch die Möglichkeit der Konvertierung zu einer anderen Konfession unter den Untertan:innen Illoyalität ausbreiten könnte, weshalb versucht wurde, die bestehenden Machtverhältnisse zu schützen. Damit im Einklang steht auch, dass sämtliche Religionsfrieden (außer die Edikte aus Siebenbürgen, die einen Sonderfall darstellen) definitiv den Katholizismus priorisierten. Selbst in Siebenbürgen, wo die katholische Bevölkerung in der Minderheit war und deshalb nicht im selben Ausmaß Vorteile genoss wie in den anderen Herrschaftsbereichen, wurde sie nicht so deutlich benachteiligt wie einige der protestantischen Konfessionen in anderen Gebieten.

Adlige Mitbestimmung und ihre Grenzen in den Religionsfrieden

In Herrschaftsbereichen mit Instrumenten der adligen Mitbestimmung – wie etwa der Sejm in Polen-Litauen mit den weitgehenden adligen Souveränitätsrechten, der hohe Mitbestimmungsgrad, den die nationes (Stände) in Siebenbürgen auf den Landtagen teils sogar gegen die Meinung ihres Fürsten geltend machen konnten sowie die Möglichkeiten, die das Einstimmigkeitsprinzip des Reichstags im Heiligen Römischen Reich den Adligen bot – finden sich auch in den Religionsfrieden Beschlüsse, die diese Rechte bestärken. Erstaunlicherweise war es dadurch möglich, die Vorrangstellung des Katholizismus zumindest teilweise zu umgehen, da ja einige Adlige dem Protestantismus angehörten und nicht eindeutig geregelt wurde, welche Intention im Zweifel wichtiger war, man sich in der Regel aber nicht in die Angelegenheiten eines Adligen in seinen eigenen Ländereien einmischte. Daraus resultiert etwa das bekannte „cuius regio, eius religio” Prinzip im Heiligen Römischen Reich – der Landesherr durfte über die Konfessionszugehörigkeit seiner Untertan:innen frei bestimmen, unbeeinflusst von äußeren Stimmen. Es sei jedoch erwähnt, dass dieses Prinzip entgegen dem allgemeinen Irrglauben nicht namentlich im Augsburger Religionsfrieden benannt wird, sondern sich vielmehr nur aus dem dortigen Kontext ergibt. Lediglich in Frankreich fehlen derartige Klauseln zur adligen Selbstbestimmung, da die Monarchie nur wenig bis keine Mitbestimmung zuließ; der Katholizismus blieb hier eindeutig die bestimmende Konfession, die dem Protestantismus einige eingeschränkte Freiheiten gewährte.

Religionsfrieden als Meilensteine der Toleranz?

Religiöse Toleranz im heutigen Sinne kann mit Akzeptanz gleichgesetzt werden, sie impliziert die Anerkennung anderer Konfessionen oder Religionen als gleichwertig und gesteht keiner einen absoluten Wahrheitsanspruch zu. Aus zeitgenössischer Perspektive war Toleranz jedoch vielmehr gleichbedeutend mit Duldung – man beanspruchte die theologische Rechtmäßigkeit für seine eigene Konfession, gestand anderen aber ein Existenzrecht zu.

In den nationalen Geschichtsschreibungen der einzelnen Herrschaftsbereiche gelten die Religionsfrieden rückblickend dennoch oft als „Meilensteine der Toleranz”; als Momente, in denen die religiöse Toleranz ihren Höhepunkt erreichte. Auf den ersten Blick mag das logisch erscheinen, es ist jedoch in zweierlei Hinsicht problematisch. Religiöse Toleranz im heutigen Sinne kann mit Akzeptanz gleichgesetzt werden, sie impliziert die Anerkennung anderer Konfessionen oder Religionen als gleichwertig und gesteht keiner einen absoluten Wahrheitsanspruch zu. Aus zeitgenössischer Perspektive war Toleranz jedoch vielmehr gleichbedeutend mit Duldung – man beanspruchte die theologische Rechtmäßigkeit für seine eigene Konfession, gestand anderen aber ein Existenzrecht zu. Die Bezeichnung von Religionsfrieden als tolerant sorgt demnach für falsche Konnotationen und beeinflusst deren objektive Beurteilung. Gerade, da sie meistens ausschließlich in ihrem nationalen Kontext betrachtet werden kommt es oft zu einer unverhältnismäßig hohen Bedeutungszuschreibung.

Religionsfrieden stellen Gesetzgebungen dar, die die Möglichkeiten ihrer Zeit ausschöpften und einen wichtigen Schritt in die Richtung individualistischer, toleranter Religionspolitik leisteten, jedoch ohne die damaligen politischen Gegebenheiten und Grenzen infrage zu stellen. Sie ermöglichten zumindest zeitweise ein friedliches interkonfessionelles Zusammenleben und legten somit den Grundstein für die Errungenschaften der Aufklärung und den Weg zur modernen europäischen Gesellschaft.

Dennoch muss ihre Bedeutung stets im Kontext ihrer Zeit gesehen werden. Sie etablierten keine religiöse Toleranz, galten nur eingeschränkt für bestimmte Konfessionen oder soziale Schichten und konnten ihren Friedensanspruch nicht langfristig durchsetzen (in beinahe allen Herrschaftsbereichen kam es auch nach der Etablierung der Religionsfrieden noch zu religiös motivierten militärischen Auseinandersetzungen oder Kriegen, allen voran sei der Dreissigjährige Krieg erwähnt). Religionsfrieden waren – befreit man sie von den idealisierten Zuschreibungen – rechtliche Vereinbarungen, die mit zeitlicher Verzögerung der Erkenntnis der Endgültigkeit der Reformation Rechnung trugen und einen Vorschlag für einen neuen Modus Vivendi unterbreiteten, der langfristig jedoch nur in Teilen Anklang fand. Dennoch können sie auch in heutiger Zeit als Beispiel dafür betrachtet werden, dass es sich als lohnende Alternative erweist, scheinbar ausweglose Streitigkeiten auf politischem statt militärischem Weg zu lösen, sofern man sich auf ein gemeinsames Bedürfnis für Frieden besinnt.

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10.15457/frictions/0033

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Miriam Mähner: Intentionale Toleranz? Ein kritischer Kommentar zur Bedeutung frühneuzeitlicher Religionsfrieden in Europa. In: Frictions (20.10.2024), doi: 10.15457/frictions/0033

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Miriam Mähner

Miriam Mähner graduated in East-West Studies – Europe in Discourse at the University of Regensburg in 2023. She was a winner of a joint second prize in the 2023 edition of the Regensburg Area Studies Master's Prize.