What is the connection between ships and the collapse of Yugoslavia? It runs deeper than might be expected, as this text shows. More than any other industry, shipyards reflected the country’s export-oriented economy, while also making a crucial contribution to the integration of an economy based on socialist workers’ self-management into global markets. Focusing on the case of the Uljanik shipyard in Pula, this article outlines the frictions and contradictions that emerged from this situation. The industry was rarely profitmaking anyway, and the market for ships became further depressed in the wake of the oil price shock of 1974, taking the losses to even greater depths. Thus the export-oriented mantra came at a high price with the incongruities between self-management and the global market becoming ever greater, with a sinking Yugoslavia lacking the finances to bail out the industry.
The themes addressed in this essay are explored in the collective monograph: Ulf Brunnbauer, Piotr Filipkowski, Andrew Hodges, Stefano Petrungaro, Philipp Ther, Peter Wegenschimmel: In den Stürmen der Transformation. Zwei Werften zwischen Sozialismus und EU. Berlin: Suhrkamp, 2022.
Polar Discovery Passenger Vessel has been launched 31.01.2018., Croatia, Pula – In the shipyard Uljanik, a new 530 ship, a luxury Polar Discovery Passenger Vessel, has been launched.
Bildcredit: IMAGO / Pixsell
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Was haben Schiffe und der Zerfall Jugoslawiens miteinander zu tun? Mehr als man glauben könnte, so das Argument dieses Textes: Werften repräsentierten wie keine andere Branche die Exportorientierung des Landes und trugen wesentlich zur Integration dieser sozialistischen Selbstverwaltungsökonomie in den Weltmarkt bei. Am Beispiel der traditionsreichen Werft Uljanik in Pula zeigt der Beitrag, welche Friktionen und Widersprüche daraus entstanden, denn Geld verdienten die Werften damit selten. Seit der globalen Depression des Weltmarktes für Schiffe nach dem Ölpreisschock 1974 waren sie Verlustbringer ersten Ranges. Das Mantra des Exports hatte einen hohen Preis: Die Inkongruenz zwischen Selbstverwaltung und Weltmarkt wurde immer größer und Jugoslawien ging das Geld aus, diese zu überbrücken.
doi number
10.15457/frictions/0015
Am 10. Januar 2022 meldeten die MV Werften mit Produktionsstandorten in Wismar, Rostock und Stralsund – Orte mit langer Schiffbautradition – Insolvenz an. Das Unternehmen, seit 2016 im Besitz des an der Hongkonger Börse notierten asiatischen Tourismuskonzern Genting, der zu den weltgrößten Kreuzfahrtanbietern gehört, wurde Opfer einer Globalisierungsfriktion – die Coronapandemie ließ den in den Jahren davor boomenden Markt für Kreuzschiffe einbrechen, genau jenes Spezialsegment des Schiffbaues also, auf den sich die MV Werften spezialisiert hatten, mithin auch das einzige, wo Europa noch eine Spitzenposition einnimmt, während der globale Schiffbau insgesamt von drei ostasiatischen Produzenten dominiert wird: Die in Südkorea, der Volksrepublik China und Japan hergestellten Schiffe machen mehr als 80 Prozent des jährlich weit über 100 Milliarden Euro schweren globalen Schiffbaumarktes aus.
In den drei Werftstandorten in Mecklenburg-Vorpommern, einer ohnehin nicht mit Wohlstand gesegneten Region, stehen nun rund 2.000 Beschäftigte vor der Arbeitslosigkeit. Die MV Werften und Vertreter der (im Land und im Bund) oppositionellen CDU fordern die Bundesregierung auf, dem gestrauchelten Unternehmen (dessen Mutterkonzern mittlerweile ebenfalls Insolvenz angemeldet hat – auf den Bermudas!) mit Hilfen und Bürgschaften in Zigmillionenhöhe zur Seite zu stehen – obwohl dem Land Mecklenburg-Vorpommern ohnehin droht, dass Kreditbürgschaften in der Höhe von 379 Millionen Euro schlagend werden; und Bund wie Land aus diversen Coronawirtschaftshilfefonds bereits rund eine halbe Milliarde Euro zugeschossen haben, die es MV Werften erst ermöglicht hatten, zwei Jahre Flaute zu überleben. Nun plädierte der Präsident des Mutterkonzerns, Colin Au, an die deutsche Politik: „Es geht um Tausende Familien. (…) Die Werften jetzt fallen zu lassen, wäre der größte ökonomische Fehler, den die Bundesregierung machen könnte.“[1] Weitere Hilfszusagen des Staates blieben aber bisher aus, so dass MV Werften ihre massive Liquiditätslücke nicht schließen konnte; das am Standort Wismar zu 75 Prozent fertiggestellte riesige Kreuzfahrtschiff „Global Dream“, das Platz für bis zu 10.000 Passagiere haben und rund 1,5 Milliarden Euro wert sein soll, verweilt bis auf Weiteres im unfertigen Zustand – für die Fertigstellung fehlen 600 Millionen Euro.[2]
Für die ostdeutsche Werftenindustrie wäre das nicht die erste Pleite seit dem Ende des Staatssozialismus – man denke an die große Neptun-Werft in Rostock, die bereits 1991, ein Jahr nach der Wiedervereinigung, den Bau neuer Schiffe einstellte und Teil der Bremer Vulkan-Werft wurde, die jedoch 1996 selbst in Konkurs ging. Die Werften in Stralsund und Wismar erlebten in den letzten drei Jahrzehnten mehrfache Eigentümerwechsel mit teils dubiosen russischen Intermezzi, bevor sie beim Genting-Konzern landeten und hoffen konnten, vom Aufschwung für Kreuzfahrtschiffe zu profitieren – der mit der Pandemie fürs erste vorbei ist. Und der sich angesichts angespannter Lieferketten abzeichnende Boom für Frachtschiffe wird sie, wie so viele andere ehemalige Schiffbaustandorte in Europa, nicht mehr retten, denn aus diesem Geschäft wurden sie von der übermächtigen asiatischen Konkurrenz schon vor Jahren verdrängt.[3]
MV Werften sind nicht der einzige Werftbetrieb in Europa, dessen Standorte auf eine lange Tradition zurückblicken, aber in jüngster Zeit in Konkurs gingen – vor drei Jahren erwischte es die kroatische Uljanik Gruppe mit Sitz in Pula, wo seit 1856 Schiffe gebaut wurden. Dort hatte man sich ebenfalls auf Spezialsegmente des Schiffbaus konzentriert, um gegen die übermächtige Konkurrenz aus Asien zu bestehen; und auch dort war die großzügige Hilfe des Staates in Form von Subventionen und Bürgschaften ein Element des (vermeintlichen) Geschäftserfolges – bis dann 2018 die kroatische Regierung angesichts eines Rekordverlusts der Werft nicht mehr wollte und auch nicht mehr durfte, da die EU ein sehr restriktives Beihilferecht praktiziert und im Schiffbau sogar schon seit den 1980ern enge Grenzen für staatliche Subventionen setzt. Wären manche dieser europäischen Regeln aktuell nicht ausgesetzt, dann bräuchte die deutsche Politik nicht lange überlegen, ob sie die MV Werften retten soll oder nicht – sie dürfte es schlicht nicht. Außerdem genießt jenseits der maritimen Industriegebiete der Schiffbau schon lange nicht mehr jenes Ansehen und damit symbolisches Kapital, das ihn einst politisch schlagkräftig machte. Wenn man nicht gerade beim Bau von Kreuzfahrtschiffen beschäftigt ist oder mit ihnen reist, assoziiert man sie eher mit Klimawandel und Über-Tourismus (sowie Covid-19-Hotspots) denn mit Nachhaltigkeit und Fortschritt.
Der Schiffbau als eine Industrie, die extreme Ausschläge kennt, hohe Investitionen und umfangreiche Kredite für ihre Produktion verlangt und einem gnadenlosen internationalen Wettbewerb ausgeliefert ist, scheint in Europa kaum eine Zukunft zu haben, solange die EU das Banner der Wettbewerbsfähigkeit hochhält, während in den dominanten Herstellerländern in Asien Regierungen direkt oder indirekt ihren Schiffbau massiv fördern. Es ist fast ironisch, dass gerade für eine Industrie, die aufs Engste mit der Globalisierung verbunden ist, das EU-Kredo der globalen Wettbewerbsfähigkeit sie global eben nicht widerstandsfähig macht, denn es fehlen Mechanismen, um die regelmäßigen Einbrüche in der Nachfrage nach Schiffen abzufedern. Leidtragende sind die Orte mit großen Werften, wo diese oftmals nicht nur der wichtigste Arbeitgeber sind, sondern auch Auftraggeber für zahlreiche Zuliefer- und Handwerksbetriebe, die Leistungen für den Schiffbau erbringen. Stralsund, Wismar und Rostock müssen heute die Erfahrung machen, die z. B. Pula vor drei Jahren gemacht hat: Der Stolz, für die Welt zu produzieren, kann von einem Tag auf den anderen in die Wut umschlagen, von dieser verraten und seiner Regierung nicht ausreichend geschützt worden zu sein.
Im östlichen Europa weckt diese Erfahrung, Opfer der Globalisierung sowie der EU-Wettbewerbspolitik zu sein, regelmäßig nostalgische Erinnerungen an den Staatssozialismus, als der Staat Beschäftigung aufrechterhielt, egal wie verlustreich ein Betrieb wirtschaftete – der vom ungarischen Ökonomen Janos Kornai „weiche Budgetgrenzen“ titulierte Mechanismus sorgte dafür.[4] Auch im Schiffbau: Ende der 1980er gehörten Polen und Jugoslawien zu den größten Schiffbauproduzenten in Europa, da sie ihre Industrie vor Restrukturierung geschützt hatten, während jene im Westen im Zuge der tiefen Rezession nach dem Ölpreisschock 1973/74 massiv schrumpfte.[5] Die Folgen der Nichtrestrukturierung reichen letztlich bis heute, denn der Schiffbau konnte lange Zeit als eines der lokal letzten Überbleibsel der sozialistischen Großindustrie ausreichend Unterstützung seitens des Staates mobilisieren, um zu überleben.
Ist die Insolvenz von Werften wie der MV Werften an der deutschen Ostseeküste oder Uljanik an der kroatischen Adriaküste also nicht nur das Ergebnis der Unbilden der unvorhersehbaren Kräfte des Weltmarkts bzw. einer Pandemie, sondern auch die späte Rückzahlung einer während des Sozialismus gezeichneten Bürgschaft? Zumindest das Beispiel der kroatischen Werft legt dies nahe – denn sie war schon in den 1980er Jahren reif für die Insolvenz und repräsentierte damit die spezifischen Spannungen, die aus der Integration einer sozialistischen Ökonomie in den Weltmarkt resultierten. Es soll also auf den nächsten Seiten um Uljanik gehen, einst der ganze Stolz der Stadt Pula in Istrien; dies ist jedoch eine Geschichte nicht nur eines Ortes, sondern auch der Risiken einer Wirtschaftspolitik, die ganz auf den Export setzt. Das Essay baut dabei auf Erkenntnisse einer Kollektivmonografie über den Schiffbau in Kroatien und Polen seit den 1970er Jahren, zu der sein Verfasser beigetragen hat und die unter dem Titel „In den Stürmen der Transformation. Zwei Werften zwischen Sozialismus und EU“ im Februar 2022 bei Suhrkamp erschien.[6] Eine frühere Version des Textes wurde am Deutschen Historikertag 2021 im Panel „Globale Wirtschaftsakteure und Staatlichkeit: Historische Perspektiven auf das Problem der Souveränität vom 17. bis zum 21. Jahrhundert“ vorgestellt, das Susanne Lachenicht (Bayreuth) und Volker Depkat (Regensburg) organisierten.
Was passiert, wenn sich ein staatssozialistisches Land entscheidet, am Weltmarkt, also an der internationalen Arbeitsteilung zu partizipieren?
Im Bermudadreieck
Im Oktober 1987 berichtete die istrianische Lokalzeitung Glas Istre vom „Schiffbau im Bermuda-Dreieck“: Der Werft Uljanik war das Geld ausgegangen, ihre Konten wurden für fast zwei Jahre eingefahren.[7] Und das, obwohl noch wenige Jahre zuvor die jugoslawische Presse die Exportfähigkeit dieser Werft in den höchsten Tönen gelobt hatte: Sie sei nicht nur die „führende jugoslawische“, sondern „eine der wichtigsten Werften weltweit“, so das Zagreber Blatt Vjesnik im Dezember 1986,[8] laut Glas Istre ein „Rolls Royce des Schiffbaus“.[9] Was war nun passiert, so dass dieser Vorzeigebetrieb vor dem Bankrott stand? Er war, um es kurz gemachen, Opfer seines Exporterfolgs sowie der Außenpolitik der jugoslawischen Regierung geworden, in der die engen Beziehungen mit blockfreien Staaten im Globalen Süden oftmals wichtiger waren als der ökonomische Ertrag von Außenhandel.
In den späten 1970er Jahren hatte Uljanik drei Schiffe mit dem Sudan unter Vertrag genommen, einem regelmäßigen Kunden jugoslawischer Werften. Die Regierung in Belgrad begrüßte das Geschäft mit diesem Partner in der Bewegung der Blockfreien. Dieses Mal aber zahlte die sudanesische Reederei den Preis von über 14 Millionen US-$ nicht; jahrelange Verhandlungen, auch auf höchster diplomatischer Ebene, und Vorstöße der Bundesregierung führten zu kreativen Vorschlägen der Sudanesen – sie wollten in Baumwolle bezahlen –, aber zu keinem Geldfluss. Der Zahlungsausfall führte Uljanik in die Illiquidität, zumal die Firma beträchtliche Verbindlichkeiten angehäuft hatte, darunter 52 Millionen US-$ gegenüber ausländischen Gläubigern und Lieferanten. Die Lokalzeitung sprach nun von der Werft als „taumelnde Diva“.[10] Die Belgrader Tageszeitung Večernje novosti fragte: „Steht der Rekordhalter vor dem Bankrott?“[11] Die finanziellen Schwierigkeiten wirkten sich auf die internen Beziehungen aus: Im Herbst 1988 traten zwei Direktoren zurück und die Arbeiter galten als „lustlos“.[12]
Diese kurze Episode soll das Problem illustrieren, mit dem sich dieser Beitrag beschäftigt: Was passiert, wenn sich ein staatssozialistisches Land entscheidet, am Weltmarkt, also an der internationalen Arbeitsteilung zu partizipieren? Daraus entstanden Reibungen (frictions) und transformative Spannungen, die Jugoslawien nicht austarieren konnte, weil es seine inneren institutionellen Arrangements nicht entsprechend anpassen konnte oder wollte. Der Schiffbau ist ein exzellentes Beispiel für die erosiven Potenziale der Exportorientierung für Jugoslawien: Die fünf großen Werften des Landes waren die am stärksten exportabhängigen weltweit. 90 Prozent der zwischen 1964 und 1975 von jugoslawischen Werften gebauten Tonnage ging ins Ausland.[13] Ende der 1980er stand Jugoslawien gemessen an den Auftragsbüchern auf dem dritten Platz der Schiffbaunationen in der Welt.
Das kleine Problem dabei: Die Werften machten selten einen Nettogewinn mit ihren Exporten, vielmehr fuhren sie hohe Verluste ein und überlebten nur aufgrund einer Eigenschaft, die Jugoslawiens Ökonomie mit den anderen sozialistischen Ländern teilte: der Stadt übernahm Verluste und erlaubte somit das Fortschreiben der Ineffizienz, da er Betriebe nur in den seltensten Fällen bankrottgehen ließ. Im jugoslawischen Fall geschah dies v. a. durch die freigiebige Kreditvergabe der regionalen Geschäftsbanken, die oftmals ganz und gar auf die Kapitalbedürfnisse der jeweils dominanten Industrie ausgerichtet waren. Sie widersetzten sich sogar den Versuchen der Nationalbank Jugoslawiens, Kredite weniger freizügig zu vergeben. Der Schuldenberg, den Jugoslawien intern und extern anhäufte – wobei die Werften durch ihren enormen Finanzierungsbedarf ihr Scherflein beitrugen –, sollte ein wesentlicher Grund des Staatszerfalls sein.
Vorgeschichte
Im Gegensatz zu anderen staatssozialistischen Ländern war der Außenhandel in Jugoslawien kein staatliches Monopol, dieses wurde bereits 1952 im Zuge der Einführung der Selbstverwaltung aufgegeben. Auch die Devisenbewirtschaftung wurde abgeschafft. Die ebenfalls Anfang der 1950er eingeführte Arbeiterselbstverwaltung wiederum stärkte die Autonomie der Unternehmen, da Entscheidungsfindungsprozesse lokalisiert wurden. Staat und Partei mischten sich nicht mehr ins Mikromanagement ein, zumindest deutlich weniger als in den anderen Planökonomien. Auch die Selbstverwaltung war zumindest anfänglich für die Integration in den Weltmarkt förderlich, weil sich die Belegschaften davon höhere Löhne versprachen, schließlich konnten sie über die Verwendung der Unternehmensgewinne mitbestimmen.
Seit den 1950ern verfolgte Jugoslawien eine Politik der Exportförderung – in Abkehr von der anfänglich verfolgten Strategie der Importsubstituierung.[14] Die Regierung förderte den Export mithilfe von Prämien, Krediten, Importerleichterungen und dem Recht für Unternehmen, einen Teil der erwirtschafteten Devisen behalten zu dürfen. Der Wunsch, den Betrieben zu ermöglichen, am Weltmarkt erfolgreich zu sein, war ein Grund für die Mitte der 1960er Jahre erfolgten Wirtschaftsreformen, welche die Marktelemente deutlich ausbauten und damit die Exporteure stärkten (während nichtkonkurrenzfähige Betriebe Belegschaft abbauen mussten). In exportorientierten Unternehmen entstand, so Lubica Spasovka und Ana Calori in ihrer Analyse, eine „outward-looking, export-oriented, globally imagined business culture“, die von Management und Beschäftigten internalisiert worden sei, die sich hochgradig mit dem Betrieb und seinem Auslandserfolg identifizierten.[15] Auf dieser Basis konnte auch in Uljanik das Management bei den Arbeitern Zustimmung für seine Strategie der Marktexpansion im Ausland generieren.
Der jugoslawische Außenhandel fokussierte zunächst den Westen sowie die sogenannte Dritte Welt, mit der Jugoslawien im Rahmen der Bewegung der Blockfreien enge Kontakte pflegte; nach der Normalisierung der Beziehungen mit der Sowjetunion wurde auch in den Ostblock viel exportiert. Die Unternehmen sollten mit ihren Exporten u. a. für Technologieimporte dringend benötigte harte Devisen erwirtschaften sowie die außenpolitische Charmeoffensive des Regimes mit Geschäften untermauern.[16] Tito, der dauerreisende Staatschef und seine diplomatische Entourage fungierten oft als Türöffner für jugoslawische Unternehmen. „In the 1960s and 1970s, Yugoslavia became the center of a web of economic contacts and exchanges between the Global South, Western Europe, and the Soviet Bloc.“[17]
Exporte waren – ebenso wie die in den 1960ern einsetzende Arbeitsmigration aus Jugoslawien – gewissermaßen ein „spatial fix“ des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus, um David Harvey zu paraphrasieren: Damit sollte Geld ins Land kommen, da die internen Kapitalakkumulationsquellen für die Aufrechterhaltung der damals noch hohen wirtschaftlichen Dynamik und das angestrebte Aufholen zum Westen nicht ausreichten. Und Jugoslawien bediente sich auch eines beliebten „temporal fix“, um in der Harvey’schen Terminologie der Lösungsinstrumente von Widersprüchen in der kapitalistischen Reproduktionslogik zu bleiben: nämlich der massiven Kreditaufnahme, auch hier aus dem Westen, womit Wechsel auf die Zukunft ausgegeben wurden (die Jugoslawien nicht einlösen konnte). Ende der 1980er hatte das Land fast 18 Milliarden US-Dollar Schulden angehäuft. Die von den jugoslawischen Werften gebauten Schiffe sind idealtypische Symbole beider fixes: Sie gingen in den Export, brachten also Kaufkraft von außen nach innen; und mit ihren Erlösen finanzierten sie die Kredite für die Erbauung neuer Schiffe. So dachte man zumindest.
Export von Schiffen
Die jugoslawischen Werften verschrieben sich ganz dem Export, so wie es die Regierung wünschte. Die Werft Uljanik in Pula konnte nach Beseitigung der massiven Kriegsschäden dank umfangreicher Investitionen des Staates in den 1950ern expandieren – sie war ein Flaggschiff der sozialistischen Industrialisierung der erst seit 1945/47 zu Jugoslawien gehörenden Region Istrien. 1958 stellte Uljanik das erste Schiff in seiner Nachkriegsgeschichte für einen ausländischen Klienten fertig: den Frachter Al Mokattan für eine Reederei in Ägypten, ein Land, zu dem Jugoslawien damals engste Beziehungen pflegte.[18] Die Exporterfolge führten zu einem neuen Selbstwertgefühl. Als 1960 der Nachkriegsboom im internationalen Schiffbau zu Ende ging, hieß es in der Betriebszeitung: „Wir hatten zwei Optionen: entweder den Konkurrenzkampf anzunehmen oder die Kapazität zu reduzieren. Natürlich wählten wir den ersten Weg.“[19]
Uljanik gelang es, Kunden in blockfreien Ländern (etwa in Ägypten, Sudan, Indien), im Westen (Norwegen, Schweden), in Ländern des sowjetischen Blocks sowie in Ausflaggungsländern (flags of convenience) wie Liberia und Panama, zu finden. In den 1970ern produzierte Uljanik beinahe ausschließlich für den Export: Nur zwei der 42 in diesem Jahrzehnt fertiggestellten Schiffe gingen an heimische Kunden.[20] 1972 war Uljanik landesweit der exportstärkste produzierende Betrieb, mit fast einer Milliarde Dinar Exporterlösen.[21] Die hohe Exportquote und das internationale Prestige, das die Schiffe von Uljanik genossen, waren eine wesentliche Wurzel des Stolzes für die Werft und eine Währung, wenn sie bei der Regierung um Unterstützung vorstellig wurde – was oft der Fall war.
Uljaniks Direktoren wie die Vertreter des Branchenverbands Jadranbrod verwiesen immer wieder auf die Rolle der Werften als sogenannte „Finalisatoren“, die in ihre Schiffe Produkte anderer jugoslawischer Industrieunternehmen verbauten, die nicht selbst auf dem Weltmarkt reüssierten. Die Regierung wiederum übte Druck auf die Exporteure aus, so viel wie möglich von einheimischen Lieferanten zu beziehen, auch wenn diese höhere Preise verlangten und minderwertige Qualität lieferten, um damit nicht-wettbewerbsfähigen Industrien einen Abnehmer zu garantieren (und die notorisch negative Handelsbilanz zu schonen). Die Werften waren z. B. genötigt, Stahl aus einem Stahlwerk in Skopje zu verwenden, obwohl dieser von minderer Qualität war, oft mit Verspätung geliefert wurde und teurer war als ausländischer Stahl (Stahl ist einer der größten Kostenfaktoren im Schiffbau).[22] Diese erzwungenen inländischen Zulieferketten waren ein wesentlicher Faktor für die mangelhafte Effizienz der jugoslawischen Werften im Vergleich mit ihren Konkurrenten im Westen. Jedenfalls wurde der Exporterfolg zu einem wichtigen Mantra, zum zentralen Erfolgsindikator, mit dem die Direktoren der Werft wucherten, die sich nicht oft genug zum Prinzip der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Außenorientierung bekennen konnten – und keinen Widerspruch darin sahen, die Regierung um Subventionen zu ersuchen, quasi als Kompensation für die Unzulänglichkeiten ihrer heimischen Zulieferer.
Die tiefe Krise des Schiffbaues führte weltweit zu einem starken Anstieg der staatlichen Subventionen sowie zu protektionistischen Schutzmaßnahmen, die aber in den kapitalistischen Ökonomien mit Auflagen zum Kapazitätsabbau einhergingen. […] Uljanik ging einen anderen Weg und vergrößerte seine Beschäftigtenzahl auf über 8.000 Arbeiter; Personalabbau war in einer sozialistischen Ökonomie tabu – und je mehr Beschäftigte, desto größer war das soziale und politische Kapital der Werft.
Nach dem Ölpreisschock
Betriebswirtschaftlich erwies sich diese Strategie als äußerst riskant, denn der internationale Schiffbau ist eine enorm zyklische Industrie, in der sich Boom und Bust in kurzen Abständen abwechseln. Wie auch die Werft in Pula in den 1970ern erfahren musste. Am Anfang der Dekade war man noch stolz, in den expandierenden Markt für große Tankschiffe eingestiegen zu sein.[23] Uljanik baute für die norwegische Reederei Bergesen vier über 330 Meter lange Tanker – zwei, Berge Istra und Berge Adria, sollten unter bis heute ungeklärten Umständen in den siebziger Jahren kentern.[24] Diese sogenannten „Mammute“ galten als die Zukunft der Werft, mit denen sie ihre Produktion selbst finanzieren würde (eine, wie sich herausstellen sollte, illusorische Hoffnung).[25] Die Werft investierte große Summen, um in Zukunft noch größere Schiffe bauen zu können.[26] Dabei erwiesen sich ihre Ingenieure als kreativ: Da kein ausreichend großes Trockendock vorhanden war, wurden die Schiffsrümpfe in zwei separaten Teilen hergestellt, die dann zusammengeschweißt wurden – ein spektakulärer aber aufwändiger Prozess. Die symbolische Bedeutung der „Mammute“ war so groß, dass sich ihnen zwei zeitgenössische Dokumentarfilme widmeten.[27]
Schon 1975 kam das „Ende der Ära der Mammute“, wie die Lokalzeitung schrieb. „Der Weltmarkt zeigte seine Zähne.“[28] Das letzte, neunte Mammut wurde 1976 an einen Kunden in Liberia ausgeliefert – zu einem Zeitpunkt, als die globale Nachfrage nach großen Tankern bereits zusammengebrochen war und man solche Schiffe nur mehr losbekam, wenn man sie verschleuderte. Mit dem Ölpreisschock von 1973 fiel der globale Schiffbau in eine tiefe Krise, die Nachfrage nach Tankern brach besonders ein, aber auch nach anderen Arten von Handelsschiffen. Im Jahr 1976 betrug der Umfang neuer Bestellungen weltweit 46 Prozent des Niveaus von 1974.[29] Der Preis für neue Schiffe sank innerhalb eines Jahres um 40 Prozent.[30] Kaum waren die ersten Erholungszeichen am Markt zu erkennen, stürzte der zweite Ölpreisschock 1979/1980 den Schiffbau erneut in die Krise. Es sollte bis zur Jahrtausendwende dauern, bis das globale Produktionsniveau von 1974 wieder erreicht wurde. Von 1978 bis 1991 lag der weltweite Ausstoß an neuen Schiffen kontinuierlich bei weniger als der Hälfte gemessen am Wert von 1974.[31] Die exportabhängigen jugoslawischen Werften waren massiv betroffen, von 1973 bis 1978 sank ihr Output von seinem Rekord von 2 Millionen dwt (einem Maß der Tragfähigkeit von Schiffen) auf 236 000 dwt.
Die tiefe Krise des Schiffbaues führte weltweit zu einem starken Anstieg der staatlichen Subventionen sowie zu protektionistischen Schutzmaßnahmen, die aber in den kapitalistischen Ökonomien mit Auflagen zum Kapazitätsabbau einhergingen. Eine radikale Kapazitätsreduktion erlebte der Schiffbau in Großbritannien, der bis zur Jahrhundertmitte führenden Schiffbaunation, wo dieser zuerst nationalisiert wurde, dann aber die meisten Werften bankrott gingen. Sting besingt das Ende einer dieser Werften in Wallsend. Japan, das in den 1970er Jahren für fast die Hälfte des globalen Outputs verantwortlich war, reduzierte seine Schiffbaukapazitäten um ein Drittel und investierte stark in Effizienzsteigerung: Die Zahl der im japanischen Schiffbau Beschäftigten fiel von 256.000 im Jahr 1975 auf 89.000 fünfzehn Jahre später.[32]
Uljanik ging einen anderen Weg und vergrößerte seine Beschäftigtenzahl auf über 8.000 Arbeiter; Personalabbau war in einer sozialistischen Ökonomie tabu – und je mehr Beschäftigte, desto größer war das soziale und politische Kapital der Werft. Im Übrigen gab es ein zweites Land, das sich antizyklisch verhielt: Südkorea, das in den 1970ern in den Schiffbau einstieg. Hyundai stellte 1973 sein erstes großes Schiff fertig, zehn Jahre später war es die größte Werft der Welt. Ende der 1980er Jahre war Südkorea zum zweitgrößten Produzenten weltweit aufgestiegen, bald danach überholte es Japan, um vor wenigen Jahren von der VR China von Platz eins verdrängt zu werden. Heute kommen circa 90 Prozent der neu gebauten Schiffe (gemessen in Tonnage) von den drei ostasiatischen Produzenten. Was Südkorea von Jugoslawien unterschied, war die Tatsache, dass südkoreanische Werften auf Effizienz getrimmt wurden und nicht im selben Ausmaß von Exporten abhängig waren. Jugoslawiens Werften erreichten höchstens die Hälfte der Produktivität deutscher Werften und ein Drittel der japanischen. In Jugoslawien erwies es sich zudem als unmöglich, ein systematisches Subventionsregime aufzubauen, das Restrukturierung befördern würde – zu fragmentiert war der Staat nach der umfangreichen Dezentralisierung durch die Verfassung von 1974; niemand fühlte sich für nichts so recht verantwortlich, die politischen Entscheidungsketten waren kaum zu durchschauen.
Was der Staat in Jugoslawien gemeinsam mit den Schifffahrtsunternehmen und den Werften versuchte, war die Produktion stärker in Richtung heimischen Markt zu lenken. Im Juni 1976 unterzeichneten Werften, Reedereien und Regierung sowie andere Stakeholder das sogenannte Piran-Abkommen, benannt nach der Küstenstadt in Slowenien. Es sah vor, dass von 1976 bis 1980 jugoslawische Werften 62 Schiffe mit einem Wert von 7,7 Milliarden Dinar für jugoslawische Handelsschifffahrtslinien bauen sollten.[33] Die Realisierung war an zwei Bedingungen geknüpft: Die Reedereien verlangten, dass ihnen jemand die Differenz zwischen Weltmarkt- und Inlandspreisen für neue Schiffe erstatten müsse, da letztere 30 Prozent höher lagen. Zweitens sollten die Banken 50 Prozent der Finanzierungskosten für die Produktion der Schiffe übernehmen, der Rest würde von den beteiligten Unternehmen, der Teilrepublik Kroatien (in der alle großen Werften angesiedelt waren) und den betroffenen Kommunengetragen werden.[34] Finanzierung ist die Crux im Schiffbau: Angesichts der langen Produktionszyklen und der Tatsache, dass die Käufer nur einen kleinen Teil des Preises vorschießen (in einem Käufermarkt wie nach 1974 noch weniger), sind die Schiffbauer von Krediten zur Finanzierung ihrer neuen Bauten abhängig.
Daran scheiterte dieser Plan der Importsubstituierung, denn die Banken waren nicht bereit, das nötige Geld zuzuschießen. Eine von der Bundesregierung 1978 geschaffene Spezialbank für die Exportindustrie, die Jugoslawische Bank für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit (Jugoslavenska banka za međunarodnu ekomosmku suradnju, JUBMES), bediente maßgeblich die Finanzierungsinteressen der Werften.[35] JUBMES refinanzierte Exportkredite von Geschäftsbanken in Höhe von 65 bis 70 Prozent ihres Wertes. Ihre Sonderziehungsrechte reichten aber nicht aus, um die Lücke zwischen dem Kreditbedarf der Schiffbauer und der Darlehensbereitschaft der Geschäftsbanken zu decken.[36] Ende der 1980er Jahre ging JUBMES das Geld aus.
Im Ergebnis produzierten die jugoslawischen Schiffbauer weiterhin primär für den Export. Von den 54 Schiffen, die Uljanik in den 1980er Jahren auslieferte, gingen bloß acht an jugoslawische Kunden.[37] Einige fanden dennoch ihren Weg in die jugoslawische Handelsflotte, weil jugoslawische Reedereien sie von ihren Eigentümern in Ausflaggungsstaaten leasten.[38] Warum sollte man ein Schiff direkt von Pula nach Rijeka verkaufen (wo die größte jugoslawische Reederei, Jugolinija, ihren Sitz hatte), wenn es auch über Panama oder Monrovia ging, und die Werft für den Verkauf in ein „Entwicklungsland“ Exportsubventionen und die Reederei für den Import eine Zollbefreiung erhalten würde? Mangelnde Kreativität konnte man den jugoslawischen Managern nicht nachsagen.
Im Westen Käufer zu finden war in den 1970er und 1980er allerdings aufgrund des vorherrschenden Protektionismus schwierig . Die jugoslawische Außenpolitik machte sich daher auf, neue Kunden zu akquirieren. Mitte der 1970er Jahre besuchten jugoslawische Handelsdelegationen, darunter ein Vertreter des Schiffbauverbandes Jadranbrod, Algerien, Frankreich, Iran, Kuba, Indien, die UdSSR, Marokko, Uruguay, Venezuela, Kolumbien, Ägypten, Syrien, Somalia, Nigeria, Gabun, Kongo, die Salomon-Inseln, alle Länder der arabischen Halbinsel, Rumänien, Bulgarien und die Türkei und verhandelten dort mit potenziellen Kunden.[39] Ein paar Aufträge resultierten aus den Bemühungen, die aber nicht große Gewinne erzielten.
Am folgenreichsten waren die Verhandlungen mit der Sowjetunion, die für die jugoslawischen Schiffbauer zum Kunden der letzten Instanz wurde, denn die Sowjets waren von der globalen Wirtschaftskrise relativ isoliert und begannen verstärkt ihr Öl und andere Waren zu exportieren; dafür brauchten sie Tanker, Frachter und Fähren. Uljanik produzierte in den 1980er Jahren zwölf Schiffe für die sowjetische Schiffsimportfirma Sudoimport – mehr als ein Fünftel der Gesamtproduktion in diesem Jahrzehnt.[40] Die Arbeiter von Uljanik leisteten Überstunden, um das sogenannte „sowjetische Programm“ zu erfüllen. Eines der Flaggschiffe dieses Programms war eine Eisenbahnfähre, die 108 Eisenbahnwaggons transportieren konnte und das größte jemals gebaute Schiff dieser Art war.[41]
Es gab nur eine winzige Schwierigkeit, wie der Chef des Branchenverbandes, Ivo Vrandečić, zugeben musste: Nicht einmal „ein Taschenspieler“ konnte Geld mit Geschäften mit den Sowjets verdienen.[42] Diese zahlten nämlich in nichtkonvertiblem Rubel oder in Naturalien (wie Stahl); und sie waren sich ihrer starken Verhandlungsposition in einem Umfeld schwacher Nachfrage bewusst. So formulierten sie die Forderung, dass der volle Preis eines Schiffes erst bei der Auslieferung gezahlt werden sollte, während zuvor 40 bis 50 Prozent des Preises während des Baus fällig waren.[43] Außerdem wurden die Lieferungen auf den sowjetischen Markt vom Staat nicht mit Exportsubventionen unterstützt (die gab es nur bei Ausfuhr in den Westen oder in die „Dritte Welt“) – trotz endloser Bemühungen der Vertreter Kroatiens, die föderalen Regeln für Exportsubventionen zu ändern. Aber auf Bundesebene sah man die Krise des Schiffbaues als primär kroatisches Problem.
Wie es einem bei Exporten in „Drittwelt-Länder“ ergehen konnte, verdeutlichte ja die Eröffnungsvignette. Kunden in Südamerika „zahlten“ teils in Bananen und Kakao, was die ohnehin komplexe Organisation des jugoslawischen Außenhandels überforderte und vor allem für die Werften keine Devisen brachte, die sie dringend benötigten, um Vorprodukte aus Hartwährungsländern zu kaufen. Dass die Abwertung des US-Dollars gegenüber den europäischen Währungen in der zweiten Hälfte der 1980er nach dem sogenannten Plaza-Abkommen eine weitere Ebene der Schwierigkeiten hinzufügte, sollte ebenfalls erwähnt werden: Schiffe wurden international in Dollar denominiert, während Vorprodukte etwa aus Deutschland in Deutscher Mark bezahlt werden musste, deren Wert gegenüber dem Dollar stieg. Jugoslawien litt also unter einer Vereinbarung der damaligen G-5, ohne natürlich selbst am Tisch gesessen zu sein.
Fazit
In ihrer Analyse zweier jugoslawischer Exportunternehmen heben Spasovska und Calori die (außen)politische Dimension ihrer globalen Aktivitäten hervor, sehen darin aber einen Vorteil, keinen Nachteil für die Unternehmen, denn diese konnten sich somit in die jugoslawische Entwicklungsstrategie einschreiben: „The language of interdependence and a new international division of labor was perpetuated by the enterprises themselves and disseminated via factory bulletins and at self-management meetings.“[44] Die Betriebe verstanden sich – so die Autorinnen – als „Botschafter“ des Selbstverwaltungssozialismus, der Blockfreiheit und der jugoslawischen Entwicklungsvision, nämlich der Integration in eine Weltökonomie, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit basieren sollte. Wofür sich die beiden Autorinnen aber nicht interessieren, ist die bottom-line der Unternehmen: Führten Exporte zu Gewinnen? Oder litt die Produktivität nicht eher an der politischen Überdeterminierung des Exports, der mehr symbolischen als monetären Mehrwert produziertee?
Andere Analysen der Wirtschaftsgeschichte Jugoslawiens haben die Spannungen und Widersprüche, die sich aus der Integration in den Weltmarkt ergaben, betont.[45] Vladimir Unkovski-Korica argumentierte etwa: „The deeper the integration of the economy in the world market (…) the more directly the latter’s competition logic became expressed within Yugoslavia, and the more it caused friction on the shop-floor, bringing into question the legitimacy of the governing apparatus.“[46] Das Potenzial dieser Friktionen realisierte sich spätestens Mitte der 1970er Jahre, als die jugoslawische Wirtschaft und insbesondere ihre Exporteure mit einer globalen Rezession und steigenden Rohölpreisen konfrontiert waren. Dies kam für die jugoslawischen Unternehmen zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn durch die Verfassung von 1974 und durch das auf diese aufbauende Gesetz über die Vereinte Arbeit von 1976 wurden Unternehmen als Rechtskörper aufgelöst und in zahlreiche formal autonome „Basisorganisationen der Vereinten Arbeit“ (BOAL) fragmentiert; die Verfassung kannte den Begriff „Unternehmen“ gar nicht mehr. Danach eine kohärente Unternehmensstrategie zu verfolgen war schwierig und bedurfte enormen Abstimmungsbedarfes – die Werft in Pula bestand aus bis zu 12 voneinander formell unabhängigen Basisorganisationen, jede mit ihrem eigenen Arbeiterrat.
Die umfangreiche Dezentralisierung erhöhte daher nicht die Flexibilität der Betriebe, sondern vielmehr ihre Transaktionskosten und Anpassungsunfähigkeit – wenigstens am Beispiel des Schiffbaues lässt sich dies behaupten. Wie Carl-Ulriek Schierup schon 1990 feststellte, bestärkten die neuen Organisationsprinzipien „bürokratische Auffassungen“ von wirtschaftlicher Entwicklung. „Market criteria for judging the success of plants and enterprises, or the level of workers’ wages, became increasingly irrelevant.“[47] Dies brachte exportorientierte jugoslawische Unternehmen in eine „besonders ungünstige Verhandlungsposition“[48] – sie konnten nicht erwarten, dass ihre ausländischen Geschäftspartner Verständnis für die Verästelungen der jugoslawischen Selbstverwaltung aufbrachten und die globalen Konjunkturen auf die langen Entscheidungsfindungsprozesse in Jugoslawien Rücksicht nahmen.
Die Politikwissenschaftler John Campbell und John Hall sprechen vom „Paradoxon der Vulnerabilität“, wenn besonders exportorientierte, offene Ökonomien (wie in ihrem Vergleich die Schweiz oder Irland) aufgrund ihrer selbst wahrgenommenen Verletzlichkeit gegenüber globalen Konjunkturen in einer kollektiven Kraftanstrengung Institutionen aufbauen, die ihnen helfen, externe ökonomische Schocks abzufedern und damit krisenresilienter zu werden.[49] Jugoslawien kann als Beispiel für ein Land dienen, wo diese Verwundbarkeit nicht in einer paradox erscheinenden Resilienz resultierte, sondern im Gegenteil: Bei aller Liberalität und Kreativität blieben die jugoslawischen Kommunisten gewissen Grunddogmen einer sozialistischen Ordnung, wie dem Primat der Parteipolitik, verpflichtet und litten unter einer durch die eigenen ideologischen Schablonen beeinträchtigen Realitätswahrnehmung. Sie unterließen es, die institutionelle Ordnung des Landes so zu modifizieren, dass diese zu einer in den Weltmarkt integrierten Ökonomie gepasst hätte. Die daraus entstehende Kluft überbrückten sie, solange es ging, indem der Staat bzw. die Öffentlichkeit die daraus entstehenden realen Kosten finanzierte, wofür sie das Land umfangreich verschuldete. Als das Geld Ende der 1980er Jahre endgültig ausging, offenbarte sich der Preis der Nichtanpassung.
Jugoslawien sollte als Staat seine ökonomische Pleite nicht lange überleben: Die starke Fragmentierung der Staatlichkeit mit der Verfassung von 1974 machte die Formulierung und Exekution einer kohärenten Reformpolitik auf Bundesebene unmöglich, zu sehr hatten sich die sozioökonomischen (und auch affektiven) Dimensionen des Staates auf die Ebene der Republiken (und darunter) verlagert; dort wurden kollektive Interessen formuliert, dort sahen sich Funktionäre von Staat und Partei mit Forderungen und Ansprüchen konfrontiert. Für die Führungen jener Republiken, in denen die meisten Exporteure saßen, erschien Jugoslawien immer mehr als Ballast, zumal die Bundesebene in den Jahren zuvor entweder nicht willens oder nicht fähig gewesen war, ihre spezifischen Probleme zu adressieren. Für den Schiffbau in Kroatien malten dessen Vertreter eine lichte Zukunft aus, wenn sie sich endlich frei entfalten könnten (mit Subventionen des Staates, selbstverständlich). Die Wirtschaftsgeographie Jugoslawiens war mit der politischen nicht mehr kongruent. Bis zu einem gewissen Grad ist somit der offenste sozialistische Staat gerade an seiner Offenheit gescheitert. Dass sich die Vorhersagen der Werften als Schimäre erwiesen, sollte den kroatischen Steuerzahler*innen noch viele Milliarden Euro kosten – aber das konnten sie 1990 nicht ahnen. Oder doch?
Notes
[1] https://www.nordkurier.de/nachrichten/ticker/hilfszahlungen-mv-werften-appellieren-an-bundespolitik-0946648501.html (letzter Zugang: 22.01.2022)
[2] https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/wer-will-ein-fast-fertiges-kreuzfahrtschiff-kaufen-1446719801.html (letzter Zugang: 22.01.2022)
[3] Vgl. „Container shipping. Perfect storm“, in: Economist, 18.09.2021, S. 62.
[4] János Kornai: „The soft budget constraint“, in: Kyklos 39(1), 1986, S. 3-30.
[5] Vgl. Bo Stråth: The Politics of De-Industrialisation. The Contraction of the West European Shipbuilding Industry. London: Croom Helm, 1987.
[6] Ulf Brunnbauer, Piotr Filipkowski, Andrew Hodges, Stefano Petrungaro, Philipp Ther, Peter Wegenschimmel: In den Stürmen der Transformation. Zwei Werften zwischen Sozialismus und EU. Berlin: Suhrkamp, 2022.
[7] Brodogradnja u ‚Bermudskom trokotu‘“, in: Glas Istre, no 231, 3-4 October 1987, S. 3.
[8] „Za sva mora svijeta“, in: Vjesnik, 10.12.1986, S. 8.
[9] „‘Rolls Roycevi‘ brodogradnje“, in: Glas Istre, 21.01.1987, S. 4.
[10] „Blokirani navozi“, in: Glas Istre, 29.10.1987, S. 3; „Zabrinuta cijela Pula“, in: Glas Istre, 30.10.1987.
[11] „Rekorder pred bankrotstvom?!“, in: Večernje novosti, 31.10.1987.
[12] „Odgovornost za nereda“, in: Večernje novosti, 4.10.1988.
[13] Ante Bulić: „Razvojni tok jugoslavenske brodogradnje od početka do danas“, in: Brodogradnje 36(1-2), 1988, S. 63.
[14] Vgl. Vladimir Unkovski-Korica: The Economic Struggle for Power in Tito’s Yugoslavia: From World War II to Non-Alignment. London: I.B. Tauris, 2016.
[15] Ljubica Spaskovska/Anna Calori: „A nonaligned business world. The global socialist enterprise between self-management and transnational capitalism“, in: Nationalities Papers, 49(3), 2021, S. 413–427, S. 414.
[16] Zum Verhältnis Staat und Außenhandel siehe: Ryan C. Amacher: Yugoslavia’s foreign trade: A study of state trade discrimination. New York: Praeger, 1972.
[17] Spaskovska/Calori, „A nonaligned business world“, S. 416.
[18] Josip Iskra: Uljanik. Brodograđevna industrija Uljanik. Pula/Zagreb: Turistkomerc, 1986, S. 24.
[19] „U borbi za opstanak jači pobjeduju“, in: Uljanik, Nr. 10, 1960, S. 22.
[20] „Preko devet milijardi dinara za proširenje i modernizaciju pogona,“ in: Uljanik, Nr. 9, 1960, S. 2.
[21] „‘Uljanik‘ prvi izvoznik-proizvođač“, in: Brodogradnje, 24(6), 1973, S. 396.
[22] Michael Palairet: „Croatian shipbuilding in crisis. 1979-1995“, in: Srećko Goić (Hg.): Enterprise in Transition. Proceedings. Fourth International Conference on Enterprise in Transition, Split-Hvar, May 24-26, 2001. Split: Faculty of Economics, 2001, S. 758–818, S. 762.
[23] Igor Stanić: „’Jedan od najtežih dana u Uljaniku!’ Štrajk u brodogradilištu Uljanik 1967. godine“, in: Sjeverni Jadran, 15, 2016, S. 73–95.
[24] „Serija kolosa iz ‚Uljanika‘“, in: Vjesnik, 25.02.1970.
[25] „‘Mamuti‘ budućnost ‚Uljanika’“ [interview mit Karlo Bilić], in: Glas Istre, 14-15.07.1973, S. 3.
[26] Novi list, 18.01.1975.
[27] Andrea Matošević: „Tehnička događajnica i radnička intima. Brodogradilište Uljanik u dokumentarnim filmovima Kolos s Jadrana, Berge Istra i Godine hrđe“, in: Etnološka Tribuna, 41/48, 2018, S. 194–212.
[28] „Nastaje era ‚mamuta‘“, in: Glas Istre, 18-19.01.1975, S. 5.
[29] Ibid., S. 667.
[30] „Zapisnik od proširene sjednice Republičkog odbora sindikata radnika proizvodnje i prerade metala SR Hrvatske“, Rijeka, 14.11.1975, in: Kroatisches Staatsarchiv, Zagreb (HDA), f. 1398, kn. 1, S. 8.
[31] Anthony Slaven: British Shipbuilding 1500-2010. A history. Lancaster: Crucible, 2013, S. 212.
[32] Ibid., S. 214.
[33] Palairet, „Croatian shipbuilding in crisis. 1979-1995“, S. 767.
[34] „ReS. Sekr. za energetiku, industriju i zanatstvi; ReS. Sekr. za pomorstvo, saobračaj i veze: Informacija o sadašnjem stanju problematike gradnje brodova u domačim brodogradilištima“, 24.3.1977, in: HDA, f. 280, kut. 88, br. 442.
[35] Palairet, „Croatian Shipbuilding in Crisis“, S. 783f.
[36] „Nacrt zakona o pretvaranju kratkoročnih kredita danih Jugoslavenskoj banci za međunarodnu ekonomsku suradnju dugoročne kredite za namjene dopunskog kreditiranja izvoza opreme, brodova i izođenja investicijskih radova u inozemstvu“ (AS-715), in: HDA, f. 280, kut. 329, br. 195.
[37] Die von Uljanik gebauten Schiffe werden beschrieben in: Hrvoje Markulinčić/Armando Debeljuh (Hgg.): Uljanik 1856-2006. Pula: Arsenal design/Uljanik, 2006.
[38] „Vjesti i zanimljivosti iz brodogradnje“, Brodogradnje, Nr. 2-3, 1987, S. 135. Das Schiff Koper ekspres wurde von einer in Panama registrierten Reederei gekauft, Jugolinija aus Rijeka leaste sie von dort.
[39] ReS. Sekr. za energiju, industriju in zanatstvo: „Kronologija akcija oko nudjenja brodova za izvoz koje su povezane sa akcijama Jugoslovenske vlade i Republičkih Privrednih komora“, 24.4.1977, in: HDA, f. 280, kut. 93, br. 569.
[40] Markulinčić/Debeljuh, Uljanik 1856-2006, S. 58.
[41] „Prenosimo“ [Interview mit Karlo Radolović], in: Brodogradnje 34(3), 1986, S. 179.
[42] „Zapisnik sa sjednice Republičkog odbora“, Split, 16.10.1976, in: HDA, f. 1398, kn. 2.
[43] Jadranbrod, an IVS: „Traženje povoljnije kreditne politike za brodogradnju u 1980. godini“, 11.12.1979, in: HDA, f. 280, kut. 181, br. 627-693.
[44] Spaskovska / Calori, »A nonaligned business world“, S. 424.
[45] Z. B. Besnik Pula: Globalization Under and After Socialism. The Evolution of Transnational Capital in Central and Eastern Europe. Emerging frontiers in the global economy. Stanford: Stanford University Press, 2018.
[46] Unkovski-Korica, The Economic Struggle for Power in Tito’s Yugoslavia, S. 3
[47] Carl-Ulrik Schierup: Migration, Socialism and the International Division of Labour. The Yugoslavian Experience. Aldershot: Averbury, 1990, S. 234.
[48] Schierup, Migration, socialism and the international division of labour, S. 169.
[49] John L Campbell/John A. Hall: The Paradox of Vulnerability. States, Nationalism, and the Financial Crisis. Princeton: Princeton University Press, 2017.